Ist die digitale Kommunikation mehr Fluch oder Segen? Eine berechtigte Frage, da die durchschnittlich Bildschirmzeit sich kontinuierlich erhöht und Menschen, vor allem Kinder und Jugendliche nervös bis gereizt reagieren, wenn sie ihr Smartphone nicht bei sich haben oder einen Moment nicht genau wissen wo es sich befindet. Zahlen? In Südkorea beispielsweise sind insgesamt 2,5 Millionen Menschen smartphone-süchtig. Darunter befinden sich 30% aller unter 19 jährigen. Per Definition ist
„Die Handyabhängigkeit oder Smartphoneabhängigkeit, umgangssprachlich auch Handysucht oder Smartphonesucht, meint den zwanghaften Drang, mit anderen (gerade nicht anwesenden) Personen über Telekommunikation in Kontakt treten zu wollen“.
Die Smartphonesucht ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass Betroffene ihr Handy immer eingeschaltet haben und ständig im Auge behalten. Wenn das Handy aus ungewollten Gründen nicht bei sich getragen werden kann/darf, löst das häufig Nervosität, teils sogar Angst aus und kann sich bis hin zu Aggressionen steigern. Es muss betont werden, dass hierbei nicht das Handy an sich das Problem darstellt, sondern der Drang, stets über die aktuellen Geschehnisse in der näheren Umgebung informiert und für andere Menschen erreichbar zu sein. Allerdings findet sich in der Telekommunikation selten tatsächlich Zuwendung, sondern es werden meist eher oberflächliche Unterhaltungen über belanglose Themen geführt. Häufig gehen mit einer Smartphone-Sucht weitere Probleme einher, wie zum Beispiel eine soziale Isolation des Betroffenen von der Gesellschaft und seinem sozialen Umfeld. Sie ist genauso eine Sucht wie eine stoffgebundene Sucht wie beispielsweise das Rauchen von Zigaretten. Vergleichbar ist sie mit der Spielsucht. Man kann durchaus die Frage stellen „Wie sozial sind sozialen Medien?
„Ich persönlich habe selbst miterlebt wie ansonsten eher ruhige und zurückhaltende Personen eine Holztür eingetreten hat, weil sich jemand einen Spaß mit seinem Handy erlauben wollte“
Ob und inwiefern das exzessive Nutzen von elektronischen Endgeräten als eigenständige Krankheit gelten kann, ist bisher nicht eindeutig geklärt, weshalb es bisher auch keinen Code im Klassifizierungssystem für medizinische Diagnosen gibt. Darüber hinaus findet man auch deutlich weniger Studien und Untersuchen im Vergleich zu anderen Süchten, wie zum Beispiel des Alkoholismus. Im klinischen Alltag ist die Smartphone-Sucht allerdings bereits fester Bestandteil, weshalb es zahlreiche (Selbst)Diagnoseprogramme gibt, wie zum Beispiel die „Smartphone Addiction Scale, kurz SAS. Diese wurde auf Basis des koreanischen Selbstdiagnoseprogramms für Internetsucht (K – Skala)(14.TheSmartphoneAddictionScale_DevelopmentandValidationofaShortVersionforAdolescents) entwickelt. Sie soll bei der Selbstdiagnose dieses Suchtbilds hilfreich sein.
„Die Smartphones müssen da übrigens abgegeben werden, da sie Schlafräuber sind“.
Selbstverständlich gibt es auch viele Menschen, die verantwortungsvoll mit elektronischen Endgeräten umgehen, und diese mehr oder weniger als Alltagshilfe beziehungsweise Werkzeug vergleichbar mit einem Hammer sehen. Pauschale Aussagen sollte man deshalb vermeiden.
Eine besonders gefährdete Zielgruppe stellen Kinder bis zehn Jahre dar, die Stand 2020 die Welt ohne Smartphone gar nicht kennengelernt haben. Es gibt viele Kinder, die täglich mehrere Stunden an verschiedenen elektronischen Endgeräten verbringen. Die Gehirne dieser Kinder befinden sich so ständig dem Einfluss dieser Geräte ausgesetzt. Während dieser exzessive Konsum einem ausgewachsenen Menschen weniger schadet, wird das Gehirn der heranwachsenden massiv zum Negativen beeinflusst. Es gibt mittlerweile mehrere Hinweise, dass Kleinkinder die bereits vor ihrem zweiten Lebensjahr regelmäßig mit genannten Endgeräten „bestrahlt“ wurden sich bei der Sprachentwicklung schwerer tun, als ihre Altersgenossen. Die Erklärung ist einfach und einleuchtend. Unser Gehirn, vor allem das Gehirn von Kleinkindern braucht einen Bezug zu den genannten Begriffen, es lernt und merkt sich Dinge am besten, wenn es mit möglichst vielen Sinnen lernt und mit dem Gegenstand interagiert. Das ist über ein Smartphone nur bedingt möglich. Darüber hinaus konnte festgestellt werden, dass Kinder und Jugendliche, die exzessiv digitale Medien und elektronische Endgeräte nutzen weniger Empathie entwickeln (können) als auch die Kurzsichtigkeit unter ihnen weiter verbreitet ist. Man geht in China beispielsweise davon aus, dass in den nächsten 30 Jahren circa 80% der Bevölkerung kurzsichtig sein wird. Zudem bleibt durch die einseitige Bewegung die Ausbildung der Sensomotorik der Kinder langfristig auf der Strecke. Es gibt nur wenige Dinge, die so eintönig sind, wie das ständige Streichen über eine eigenschaftslose Oberfläche, dem Bildschirm.
„Alle sieben Minuten greift der durchschnittliche Nutzer zum Smartphone, um seine Nachrichten zu checken.“
Wissenschaftlich belegt ist das wir bereits vor der Einschulung das Meiste gelernt haben, was wir für unser Leben brauchen. Jeder der mit Kindern bereits zusammenarbeiten durfte wird bestätigen können wie schnell diese im Vergleich zu anderen Altersgruppen lernen. Deshalb sollte man kritisch hinterfragen, welchen Nutzen Kinder in ihrem späteren Leben erfahren, wenn sie gelernt haben Aliens virtuell abzuschießen. Da in Deutschland bereits seit längerem die Digitalisierung in Kindergärten und Schulen vorangetrieben wird möchte ich dich auf eine Waldorfschule in Los Altos, Kalifornien aufmerksam machen. Diese Waldorfschule liegt inmitten der Tech – Hochburg Silicon Valley. In ihr wird allerdings bewusst auf technische Hilfsmittel verzichtet. Um den Lernerfolg nicht zu behindern, sind Computer an der Waldorf School of the Peninsula verboten. In den Augen der Schule beeinflussen Computer und elektronische Endgeräte das kreative Denken, die körperlichen Bewegungen, die menschlichen Interaktionen und die individuelle Konzentrationsspanne der Schüler negativ. Lediglich ab der achten Klasse befürwortet die Schule einen eingeschränkten Gebrauch technischer Geräte. Interessanterweise ist diese Waldorfschule nicht mit Kindern von Aussiedlern gefüllt, sondern mit vielen Eltern, die bei den Tech – Riesen des Silicon Valley Facebook, Google, Apple oder Yahoo arbeiten. Drei Viertel der Schüler haben Eltern, die bei einem der genannten Konzerne tätig sind. Alan Eagle der als Kommunikationsmanager bei Google unter anderem Reden für den Vorsitzenden des Unternehmens, Eric E. Schmidt schreibt sagt
„Die Idee, dass eine App auf einem iPad meinen Kindern besser Lesen oder Arithmetik lehren kann, ist lächerlich“.
Quelle: Statista.com
Weitere prominente Beispiele sind Bill Gates und der verstorbene Steve Jobs. Elektronische Endgeräte bekamen die Kinder von Gates und Jobs erst im Alter von 14 Jahren und nur unter eingeschränkten Benutzungsmöglichkeiten.
Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass ich kein absoluter Gegner von elektronischen Endgeräten bin. Im Gegenteil. Mein Arbeitsalltag wäre ohne technische Hilfsmittel kaum machbar. Allerdings appelliere ich vor allem bei Kindern und Jugendliche für einen sinnvollen und verantwortungsbewussten Gebrauch. Das ist sicher etwas überspitzt gesagt, jedoch möchte wohl niemand eine/n empathielose(n), übergewichtige(n) und brillentragende(n) Sohn/Tochter der/die sich sozial isoliert und bei jeder Familienfeier ununterbrochen das „Smart“phone nutzt und bei Hinweis gereizt reagiert.
Literatur
- Spitzer M (2016) Die Neurobibliothek: Achtung Smarphine: Über Risiken und Nebenwirkungen für Kinder und Jugendliche Galila Hörbuchverlag, CD
- Spitzer M (2013) Wie kleine Kinder lernen: 3 bis 6 Jahren. Galila Hörbuchverlag, CD
- https://www.euroeyes.de/kurzsichtigkeit-steigende-myopie-in-china/
- Spitzer M (2015) Entwicklungspsychopathologische Aspekte der Medien- und Computersucht. Internet- und Computersucht. Ein Praxishandbuch für Therapeuten, Pädagogen und Eltern. C. Möller. Stuttgart, Kohlhammer: 89-98
- Wietasch A K, Kiefer M, Spitzer M. Neuropsychologie in: Rohde A, Marneros A (Hrsg) (2007) Geschlechterunterschiede in der Psychotherapie . S: 305-323, Kohlhammer, Stuttgart
- Spitzer M (2005) Bauch und Kopf – Fühlen und Denken mit Körper und Geist. In Mehr Zeit für Kinder e. V. Kluge Gefühle. Familienratgeber zur Förderung der emotionalen Intelligenz. Barmer, Wuppertal
- Spitzer M (2018) Die Smartphone-Epidemie: Gefahren für Gesundheit, Bildung und Gesellschaft. Klett-Cotta, Stuttgart
- Spitzer M (2015) Cyberkrank! Wie das digitalisierte Leben unsere Gesundheit runiniert. Droemer, München
- Spitzer M (2013) Das (un)soziale Gehirn. Wie wir imitieren, kommunizieren und korrumpieren. Schattauer, Stuttgart
- Min Kwon, Joon-Yeop Lee, Wang-Youn Won, Jae-Woo Park, Jung-Ah Min: Development and Validation of a Smartphone Addiction Scale (SAS). In: PLOS ONE. Band 8, Nr. 2, 27. Februar 2013, ISSN1932-6203, S. e56936, doi:1371/journal.pone.0056936, PMID 23468893, PMC 3584150 (freier Volltext).
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- https://www.researchgate.net/publication/259589326_The_Smartphone_Addiction_Scale_Development_and_Validation_of_a_Short_Version_for_Adolescents
- Mengwei Bian, Louis Leung: Linking Loneliness, Shyness, Smartphone Addiction Symptoms, and Patterns of Smartphone Use to Social Capital. In: Social Science Computer Review. 33, 2014, S. 61, doi:1177/0894439314528779.
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- App warnt vor Handy-Abhängigkeit – Forscher der Universität Bonn haben das Miniprogramm entwickelt.
- Google’s Digital Wellbeing initiative: Everything you need to know.In: androidcentral. 13. Juni 2018, abgerufen am 20. Januar 2019.
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- https://www.futurezone.de/digital-life/article213447411/Diese-Schule-im-Silicon-Valley-ist-eine-technologiefreie-Zone.html
- https://mobile.katapult-magazin.de/index.php?mpage=a&l=0&artID=421